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Neurodermitis und Atopie: An der Grenze der Belastbarkeit
DÜSSELDORF – Nationale Versorgungsziele zur atopischen Dermatitis sollen ab 2025 die dermatologischen Standards der medizinischen Behandlung öffentlich darstellen. Dazu hat die erste Nationale Versorgungskonferenz Atopische Dermatitis die Weichen gestellt. ​
Nach der Nationalen Versorgungskonferenz stellte sich der Teilnehmerkreis gemeinsam mit den drei wissenschaftlichen Leitern der Veranstaltung Dr. Ralph von Kiedrowski, Selters, Prof. Thomas Werfel, Hannover und Prof. Matthias Augustin, Hamburg (sechster, siebter und neunter von links) den Fotografen. (Foto: Blu)
Stichwort: Atopische Dermatitis
Als „atopische Dermatitis“ – auch Neurodermitis – wird eine chronisch entzündliche Erkrankung der Haut bezeichnet, die unzureichend behandelt mit schwerem Juckreiz und oft starken Beeinträchtigungen der Lebensqualität verbunden ist. Betroffene leiden oft ebenso an Heuschnupfen und nachfolgend Asthma, bleibt der Heuschnupfen un-behandelt. Ein „Etagenwechsel“ von den oberen Atemwegen in die unteren Atemwege ist die Folge. Das Risiko für eine Erkrankung des atopischen Formenkreises ist erhöht, wenn diese allergischen Erkrankungen auch bereits in der Familie vorkommen.
Nahezu zwei Dutzend Atopie-Expertinnen und Experten aus dem gesamten Bundesgebiet votierten nach rund dreistündiger Beratung für positiv formulierte Zielvorgaben einer hautfachärztlichen Behandlung, die sie nach dem heutigen Stand dermatologischer Fachkompetenz für erreichbar halten und zugleich auch einen Anspruch der Fachgruppe an die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen darstellen.
Dazu gehören
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eine gute Lebensqualität als oberstes Ziel jeder Behandlung,
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ein früher Zugang zur Prävention und Patientenschulungsprogrammen,
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die Früherkennung von Komorbidität und letztlich
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die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Leistungsfähigkeit auch am Arbeitsplatz,
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Die heutige Versorgungssituation stellt sich vielschichtig dar, wie Tagungsleiter Prof. Matthias Augustin, vom Centrum für Versorgungsforschung in der Dermatologie, Hamburg veranschaulichte. Mit rund 3,5 Millionen jährlich zu versorgenden gesetzlich Krankenversicherten – darunter 1,3 Millionen im Kindes- und Jugendalter – zählt die Atopische Dermatitis ebenso wie die Psoriasis zu den „Volkskrankheiten“ an der Haut. Nach Daten der Techniker Krankenkasse jeder achte Fall mit mittelschwerem oder schwerem Verlauf, und in nahezu zwei Drittel aller Fälle mit Begleiterkrankungen.
Die Fachgruppe wird jährlich von rund einem Viertel der gesamten Bevölkerung in Anspruch genommen, neben den entzündlichen Hauterkrankungen vor allem auch wegen Hautkrebs, und leidet unter Überlastung insbesondere durch Bagatellfälle. Dabei mangelt es nicht an valider medizinischer Information und hochwertigen Leitlinien für zahlreiche dermatologische Krankheitsbilder, therapeutische Innovationen sind einer Auswertung von Zulassungsstatistiken der Europäischen Arzneimittelagentur zufolge in Deutschland so umfangreich wie in keinem anderen europäischen Land verfügbar.
An der Grenze der Belastbarkeit
Anderseits müssen Hautpatientinnen und -patienten oft lange auf einen Termin warten. Die Dermatologie leidet wie viele andere Facharztgruppen und Nachwuchsmangel. der Anteil der Hautärztinnen und Hautärzten, die mit voller Stelle für die Krankenbehandlung zur Verfügung stehen, ist rückläufig. Die übermäßige Inanspruchnahme mit Bagatellen lässt das verfügbare Personal an Kapazitätsgrenzen stoßen. Und ob die zahlreich verfügbaren neuen Medikamenten tatsächlich beim Patienten ankommen, hängt infolge „regionalen Disparitäten“ auch vom Wohnort ab, wie Augustin weiter ausführte.
Bei der Lebensqualität liegen Atopiker in Deutschland bei 60% und damit gleichauf mit Tumor- und Depressionskranken, aber weit hinter den Vergleichswerten zu hautgesunden Mitmenschen. Bei den Belastungen steht der Juckreiz an erster Stelle. Hinzu kommen als diskriminierend empfundene Hautveränderungen an sichtbaren Stellen wie im Gesicht, aber auch an den Genitalien sowie Schlafstörungen, wie von Augustin referierte Studien zeigen.
Die fachgerechte Umsetzung der vorliegenden Leitlinien könnten eine erhebliche Verbesserung der Behandlung für viele bringen, kommen aber, wie Augustin zeigte, in der Versorgungswirklichkeit oft nicht an. Die Rate der Kortikosteroid-Verordnungen sei deutlich zu hoch, so ein kritischer Hinweis, der auch die allgemeinmedizinische Versorgung betrifft. Selbst in mittelschweren bis schweren Fällen werde häufig – entgegen der Leitlinie – nur eine topische Behandlung oder außerhalb der Zuordnung verordnet.
Bei ihren Vorgaben für die Versorgungsziele 2025-2030 orientiert sich das Beratungsergebnis der 1. Nationalen Versorgungskonferenz zur Atopie an den bereits 2010 erstmals in Kraft gesetzten nationalen Versorgungszielen für die Psoriasis, die über mehrere Aktualisierungen hinweg zu messbaren Verbesserungen und zu Versorgungsverträgen mit ein er Reihe von Krankenkassen geführt haben.
Die von Augustin dargestellten Rahmenbedingungen der hautärztlichen Versorgung sollten auch in der Versorgungszielprojektion ihren Niederschlag finden, forderte der Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen und Ko-Tagungsleiter, Dr. Ralph von Kiedrowski in Düsseldorf. Er verwies dazu beispielhaft auf die bestehenden Selektivverträge, die beim Hautkrebsscreening unter 35 Jahre sowie bei der Psoriasis- und Neurodermitisbehandlung für zahlreiche gesetzlich Krankenversicherte bereits zu spürbaren Verbesserungen geführt haben. Insgesamt aber brauche es dringend eine wirksame Patientensteuerung und eine leistungsgerechte Vergütungsstruktur im EBM.
Eín Hautnetz, 29 regionale Filialen
Entzündliche Hauterkrankungen betreffen Millionen von Menschen. Das Votum der in Düsseldorf versammelten Atopieexperten ist das Ergebnis einer Hautnetz-Deutschland Initiative mit dem erklärten Ziel, die Versorgung einer ganzen Reihe von entzündlichen und teils auch chronischen Hauterkrankungen zu verbessern. Das Spektrum der Erkrankungen reicht von der Alopecia areatea bis zur Rosazea und von der Akne bis hin zur Urtikaria und Vitiligo.
Zur Zeit gibt es 29 regionale dermatologische Netze mit rund 1600 Hautärztinnen und Hautärzten. Die ersten, nach 2008 gegründeten dermatologischen Netze waren zunächst auf Psoriasis fokusiert. Zahlreiche von ihnen haben sich zwischenzeitlich zu Hautnetzen weiterentwickelt und nehmen weitere Krankheitsbilder auf, so von Kiedrowski. Das Hautnetz Deutschland hat als nationale Dachstruktur nun entsprechende Sektionen gegründet.
Dem Hautnetz-Konzept folgend nehmen die Sektionen mit speziell auf ihren Arbeitsbereich zugeschnittenen Nationalen Versorgungskonferenzen jetzt ihre Arbeit auf, nachdem die Gründungsphase erfolgreich abgeschlossen werden konnte, wie der BVDD-Vorsitzende in Düsseldorf den größeren Zusammenhang erläuterte.
Den Auftakt machte bereits Ende September die Sektion Pruritus und Prurigo. Sämtliche Einzelveranstaltungen bündelt das Hautnetz Deutschland am 22. November mit einer bundesweiten gemeinsamen Versorgungskonferenz.